Betreff
Zusatzbezeichnung für Kommunen gem. § 5 Abs. 3 GemO "Zwetschgenstadt"
Vorlage
2022/083
Art
Vorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Beschlussvorschlag

Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, die Genehmigung zur Führung der Zusatzbezeichnung „Zwetschgenstadt“ gem. § 5 Abs. 3 Gemeindeordnung zu beantragen.

 


Sachverhalt

Auf Anregung der CDU-Fraktion in der Gemeinderatssitzung vom 22. Dezember 2021 soll darüber beraten werden, ob die Zusatzbezeichnung „Zwetschgenstadt“ für die Stadt Bühl beantragt wird. In nichtöffentlicher Sitzung am 13. April 2022 wurde diese Angelegenheit bereits diskutiert.

 

Zusatzbezeichnung gem. § 5 Abs. 3 Gemeindeordnung

 

Im Dezember 2020 hat der Landtag von Baden-Württemberg eine Änderung des § 5 Abs. 3 der Gemeindeordnung (GemO) beschlossen, mit der die Zusatzbezeichnung für Kommunen gelockert wurde. Die Neuregelung soll es den Gemeinden erleichtern, neben dem eigentlichen Namen eine sonstige Bezeichnung zu führen. Solche Bezeichnungen müssen kommunalrechtlich genehmigt werden.

 

Eine Zusatzbezeichnung kann beispielsweise auf die geschichtliche Vergangenheit, eine Eigenart oder der heutigen Bedeutung einer Gemeinde beruhen. Sie sind als Namenszusätze gedacht und sollen keine Namensbestandteile enthalten. Sie umfassen charakteristische Aussagen über den Status, die Eigenart oder die Funktion einer Gemeinde in gegenwärtiger oder historischer Hinsicht. Von besonderer Bedeutung ist insofern jeweils das eigene Selbstverständnis der Gemeinde im Hinblick auf die Zusatzbezeichnung als identitätsstiftendes Element für die örtliche Gemeinschaft. Örtliche Besonderheiten, geschichtliche Bezüge und Alleinstellungsmerkmale einer Gemeinde sollen mit dieser Änderung der GemO deutlicher hervorgehoben werden können. In der Vergangenheit wurden im Wesentlichen lediglich die Bezeichnungen „Bad“ oder „Universitätsstadt“ verliehen.

 

Eine Zusatzbezeichnung kann über einen Gemeinderatsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit, also einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen aller Mitglieder, beantragt werden. Dieses Quorum soll sicherstellen, dass sich der Wunsch der Gemeinde nach der Bestimmung oder Änderung einer Zusatzbezeichnung auf ein breites demokratisches Fundament stützt.

 

Der Antrag ist mit einer eingehenden Begründung zur Auswahl der Zusatzbezeichnung und einer Stellungnahme der Rechtsaufsichtsbehörde zu versehen. Die Genehmigung des Antrags auf eine Zusatzbezeichnung erteilt das Innenministerium, sie wird im Gemeinsamen Amtsblatt veröffentlicht.

 

Genehmigte Zusatzbezeichnungen können unter Beachtung der straßenverkehrsrechtlichen Regelungen grundsätzlich auf den Ortstafeln an den Ortseingängen geführt werden.

 

 

Die folgenden Ausführungen würden im Falle eines positiven Gemeinderatsbeschlusses in die oben genannte eingehende Begründung des Antrags einfließen.

 

Zwetschgenstadt Bühl

 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch die zunehmende Verwendung von Baumwolle der vormals verbreitete Hanfanbau in der Bühler Gegend zurückgegangen. Auch der Weinanbau verlor damals immer mehr an Bedeutung, da sich wegen mangelnder Kenntnisse in der Bekämpfung von Rebkrankheiten die Reblaus und Peronospora in den Weinbergen ausbreiteten und schließlich etliche Rebflächen deswegen stillgelegt werden mussten.

 

In dieser Lage kam Bühl jedoch eine Laune der Natur zur Hilfe. Etwa um 1840 wurde im 1934 nach Bühl eingemeindeten Kappelwindeck (genauer im Zinken Riegel) eine ungewöhnlich früh reifende Zwetschgensorte entdeckt. Da im Zeitalter des Eisenbahnbaus mit den neuen Transportmöglichkeiten ein Obstmarkt entstand, der potenziell das ganze Deutsche Reich erfasste, bot diese Entdeckung eine Spitzenposition in der neuen Konkurrenz. Ausgehend von Kappelwindeck breitete sich diese Kulturpflanze, die in den ersten 30 Jahren noch den Namen „Kappler Zwetschge“ trug, im Bühler Raum rasch aus. Zunächst wurden die Früchte auf den Märkten in Bühl, Baden-Baden und Straßburg angeboten, allmählich stellten sich die ersten Kleinhändler ein. Die „Bühler Frühzwetschge“ prägte fortan die landwirtschaftliche Entwicklung Bühls. Im harten Winter 1879/80, dem in ganz Baden rund 32 Prozent der Zwetschgenbäume zum Opfer fielen, wurde zudem die bessere Resistenz dieser Obstbäume gegen Frost entdeckt, so dass die Nachfrage weiter anstieg. Das Großherzogliche Handelsministerium unterstützte die Verbreitung der neuen Kultur und wies die staatliche Obstbauschule in Karlsruhe an, den von den Winterschäden betroffenen unbemittelten Landwirten neue Obstbäume zum ermäßigten Preis abzugeben. Es wurden in Bühl Baumschulen angelegt, junge Zwetschgenbäume wurden u.a. nach England geliefert. 1888 wurden auf den Bühler Obstmärkten in der Haupterntezeit täglich 1000 bis 1500 Körbe mit Frühzwetschgen umgesetzt. Am 15. August 1884 hatte der erste Eisenbahnwaggon mit 100 Zentnern Frühzwetschgen den Bühler Bahnhof Richtung Köln verlassen. Vier Jahre später waren es bereits 12 bis 15 Eisenbahnwagen täglich, die während der Saison Früchte nach ganz Deutschland und in die Nachbarländer brachten. Verpackt wurden die Zwetschgen für den Transport zunächst in runden Weidenkörben, die den Korbflechtern zusätzliche Verdienstmöglichkeiten einbrachten. In den 1920er Jahren wurden die Weidenkörbe allmählich durch Spankörbe ersetzt, 1928 in Bühl eine Spankorbfabrik errichtet, die in der agrarisch geprägten und kaum Industrie aufweisenden Bühler Gegend Frauen und Männern Arbeit bot.

 

Zur Verbesserung und Ausweitung der Obstbaumpflege und vor allem zur Förderung des Markts und des Obstabsatzes wurde 1905 vom Landes-Obstbauverein die „Bühler Obstzentrale“ gegründet, 1919 folgte die Gründung einer Absatz-Genossenschaft durch den Bauernverein und schließlich 1926 die Bildung der Bühler Obstabsatzgenossenschaft (OAG), die 1995 mit anderen Märkten zum Obstgroßmarkt Mittelbaden mit Sitz in Oberkirch fusionierte. 1935 wurde für den Obstmarkt, der bis dahin auf der Bühler Hauptstraße sowie nachmittags in der Friedrichstraße stattfand, eine Obstgroßmarkthalle errichtet.

 

1951 wurden im damaligen Kreis Bühl insgesamt 617.771 Obstbäume gezählt, davon waren 358.801 Pflaumen- und Zwetschgenbäume und 118.180 Apfelbäume. Der Rest verteilte sich auf Birnbäume, Kirschbäume sowie Aprikosen- und Pfirsichbäume. Der prozentuale Anteil der Pflaumen- und Zwetschgenbäume lag im Kreis Bühl bei 59,1 %, während er im Land Baden-Württemberg bei 18,5 Prozent lag. In den 1950er Jahren wurden in mittleren Erntejahren täglich etwa 12.500 Zentner Obst, in den Tagen der Haupternte etwa 40.000 Zentner, aus dem Bezirk Bühl versendet. 1957 lag die Erntemenge im Bezirk Bühl bei 396.000 Zentner. Neben ihrer Verwendung als Tafelobst wird die Zwetschge als Edelbrand verwertet.

 

Die Bühler Frühzwetschge ist die Referenzsorte für den Reifezeitpunkt aller Zwetschgen und Pflaumen in Deutschland: Alle Sorten, die vor ihr reifen, zählen zu den Frühsorten und alle die ihr folgen zu den Spätsorten.

 

Die Bühler Frühzwetschge, die traditionell hauptsächlich als Halbstamm in Obstanlagen angebaut wurde, ist in den letzten Jahrzehnten durch andere Zwetschgensorten ersetzt worden. Niedrig wachsende Obstbäume haben sich in den Plantagen wegen der leichteren Ernte durchgesetzt. Hinzu kommt, dass die Märkte und der Handel zunehmend nach immer größeren Zwetschgen verlangten, die lange haltbar und sehr fest sind, um so langen Transportwegen standzuhalten. Die Verbraucher mögen ihr Obst inzwischen außerdem deutlich süßer. All diese Faktoren führten in den letzten 30 Jahren zu einem rasanten und noch nicht abgeschlossenen Rückgang in Anbau, Vertrieb und Genuss der Bühler Frühzwetschge. Allein im Zeitraum von 2011 bis 2015 ging ihr Anteil an den vom Obstgroßmarkt Oberkirch verkauften Zwetschgen von 10,8 auf 5,0 Prozent zurück.

 

Heute werden die Zwetschgenbäume vor allem im Neben- und Zuerwerb bewirtschaftet, bestimmen aber immer noch das Bild in vielen Obstanlagen und Streuobstwiesen rund um Bühl und werden auf den regionalen Märkten, bei Direktvermarktern und in Hofläden angeboten.

 

2018 hat der Verein Slow Food Deutschland die Bühler Frühzwetschge in seine „Arche des Geschmacks“ aufgenommen. Das 1996 gestartete Projekt schützt weltweit rund 4800 regional bedeutsame Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen und will das kulinarische Erbe der Regionen retten.

 

2022 wird das traditionelle Bühler Zwetschgenfest, das alljährlich in der Innenstadt von Bühl stattfindet, zum 73. Mal gefeiert. Es erinnert daran, welchen besonderen Stellenwert die Zwetschge in der Vergangenheit hatte. Ihr zu Ehren gibt es bereits seit dem ersten Obstfest 1927 in Bühl eine Zwetschgenkönigin, welche die Frucht und die Stadt Bühl über die Stadtgrenzen hinaus repräsentiert. Das Zwetschgenfest ist einer der wichtigsten Höhepunkte im Jahreskalender der Stadt Bühl. Rund um das zweite Septemberwochenende steht alles im Zeichen dieses Festes: Fünf Tage lang wird die blaue Frucht gefeiert. Wichtige Säulen sind die Matinee im Bürgerhaus sowie der große Umzug durch die Innenstadt mit Motivwagen und Fußgruppen. Fanfaren und Musikkapellen begleiten dabei den Festwagen der Zwetschgenkönigin. Zum Fest zählt stets auch ein abwechslungsreiches Kulturprogramm auf verschiedenen Bühnen sowie einer der attraktivsten Vergnügungsparks des Landes. Es lockt Jahr für Jahr mehrere tausend Besucher in die Stadt.

 


Finanzielle Auswirkungen (inkl. Seitenzahl im Haushaltsplan)

Bei einem evtl. Austausch der Ortseingangstafeln ergeben sich pro Tafel Kosten in Höhe von 161,26 Euro im konsumtiven Bereich „Verkehrseinrichtungen“ (Sachkonto: 42220000, Kostenstelle 54100200).

 


Klimatische Auswirkungen

Keine.